Manchmal ist es gar nicht so einfach den passenden Titel zu finden. Vor einer Weile war ich bei meiner Großtante. Sie ist jetzt 88 Jahre und sie hat mir Fotos gezeigt. Fotos von Besuchen bei ihr und bei uns. Dabei gab es eine Situation wo ich innerlich gestolpert bin. Sie erzählte von einem Bild von „Zu Hause“. Mhhh und da war nun meine Verwirrung. Was meinte sie denn damit? Meine eigene Definition von zu Hause war bis vor kurzem noch: Zu Hause ist irgendwie immer da, wo ich gerade nicht bin. Ziemlich verrückt find ich.
Und für sie? Was ist da zu Hause? Sie lebt schon eine ganze Weile in Bayern. Sie ist als junge Frau, vor dem Bau der Mauer, ihrer Cousine nach Starnberg gefolgt. Dort gab es Arbeit und Wohraum. Beides war in Görlitz, wo ihr Bruder und ihre Familie nun lebte knapp. Aber weder Starnberg, noch ihren jetzigen Wohnort bezeichnet sie mit zu Hause.
Und was ist mit Görlitz? Das vermutete ich erst. Für mich schien das ganz klar, nur das kann sie meinen. Lebte doch mein Opa da und wirkte auf mich als Kind und jetzt auf den Fotos fröhlich. Doch im weiteren Gespräch merkte ich schnell, dass sie auch Görlitz nicht wirklich damit meinte. So was blieb denn dann noch?
Als Jugendliche und junge Erwachsene ist sie mit ihrer Familie vor dem Krieg geflohen. Sie lebten in der Nähe von Walbrzych (Waldenburg) auf einen Hof. Der Hof lag an einem Fluss und hatte eine Mühle und eine Glastanzdiele. Er lag relativ abseits und war für viele Menschen noch ein Zufluchtsort. Aus einem Brief weiß ich, dass die Menschen dort Schutz suchten und viel dabei beteten. Das war also der Ort ihrer Kindheit, der auch jetzt noch ihr zu Hause war, auch wenn sie dort nie wieder gelebt hatte. Es stimmt mich traurig und nachdenklich. Für mich war dieser Ort als Kind immer magisch und ich war von den Geschichten, die meine Tante erzählte fasziniert. Mein Opa hat nur wenig von seinen Erlebnissen dort berichtet. Er war jünger als meine Tante und muss zu der Zeit in etwa 16 Jahre gewesen sein, als sie flohen. Er hatte als Kind Kinderlähmung, dass war sein „Glück“, so konnte er bei seiner Familie sein.
Jetzt sitze ich hier und mich treibt die Frage um, was ist für mich zu Hause und zu Hause gleich Heimat? Ich merke bei mir hat sich in den letzten Jahren etwas verändert. Wenn ich an das Städtchen an der Ostsee denke, kommt bei mir ein zu Hause Gefühl und wenn ich dort ankomme, fühl ich mich zu Hause. Ich habe dort nur 8 Jahre gelebt und trotzdem ist es irgendwie so. Das liegt sicher an den Erlebnissen, den Menschen und meinen Freunden da. Gleichzeitig bin ich dem Ort meiner Kindheit buchstäblich entwachsen. Ich kenne die Gegend, mag sie, verbinde schöne und nicht so schöne erinnerungen mit ihr, genieße die Zeit da und gleichzeitig ist es nicht mehr dieses zu Hause Gefühl. Zumindest jetzt nicht. Es ist mehr eine tiefe Verbundenheit und Leichtigkeit auch wieder gehen zu können. Vielleicht ist das eher Heimat.
Ich lebe gerade an einem dritten Ort, der weder das eine, noch das andere ist. Ich fühle mich an dem Punkt wieder mit meiner Tante verbunden und kann diese Art der Sehnsucht nach zu Hause etwas nachfühlen.